Sonntag, Januar 04, 2009

Kino: SLUMDOG MILLIONAIRE



Fast wirkt es hier, als würde sich Danny Boyle seinen "Kinderfilm" MILLIONS erneut vorknöpfen und ihn in eine neue Umgebung transferieren: Diesmal sind es jedoch keine zwei weiße Kinder, die wohl behütet in einer britischen Vorstadt aufwachsen und dann durch Zufall an die Millionen kommen. Hier geht es um indische Slum-Kids, die täglich ums nackte Überleben kämpfen. Hier geht es nicht um die Erfüllung materieller Wünsche, sonder um das Festhalten von Geborgenheit und Nähe - dem größten Schatz von allen. Umso lustiger auf welche Art und Weise Boyle deshalb die Handlung um die Show „Who wants to be a millionaire?“ nutzt und dieser westlichen Idee von Hoffnung und Glückseeligkeit neue Züge verleiht.

Am beachtlichsten ist eigentlich, wie Boyle es schafft Indien zu reflektieren. Stets sozialanalytisch, nie aber richtend. Er schafft es eine Brücke zwischen dem "alten" und dem "neuen" Indien zu schlagen, ohne dabei seine Figuren zu vernachlässigen oder zu vergessen, das auch im "neuen" noch das "alte" Indien existiert. Das sich die Slums, der Dreck und das Elend nicht aufgelöst haben, weil wir unseren Fokus auf eine neue, reiche Gesellschaft und die stetig wachsende Industrie verlagert haben. Da möchte man dem Film doch gar nicht erst ankreiden, zu oft das riesige Konstrukt in bester Bollywood-Manier durchscheinen zu lassen. Auch das gehört ja irgendwie in die Essenz mit hinein: Große Gefühle, das Märchen vom Aufsteiger aus der Unterschicht dem eine ganze Nation zujubelt und der skakespeare'sche Bruderkonflikt, der von allen Zutaten wahrscheinlich noch am plumpsten in Szene gesetzt wurde. Das Alles formt den vegetarischen Bollywoodschinken, in dem die meisten Gefühle vergleichsweise authentisch bleiben und in dem nur wehrend den Credits getanzt wird. Vielleicht hat Danny Boyle mit SLUMDOG MILLIONAIRE sogar eine neue Unterart des indischen Pop-Kinos geschaffen.

Wie auch schon bei MILLIONS, beweist Boyle, dass er ein goldenes Händchen besitzt wenn es um die Besetzung von Kinderrollen geht. Speziell die Darbietung von Ayush Mahesh Khedekar als junger Jamal gehört zu den eindrucksvollsten Leistungen die ich in letzter Zeit gesehen habe. Auch der Soundtrack integriert sich bestens in die starken Bilder, sodass spätestens mit M.I.A.'s "Paper Planes" der Funke überspringt. Alles in allem ist SLUMDOG MILLIONAIRE ein märchenhafter Diskurs mit allem was dazugehört. Kleinere Eingeständnisse des Drehbuchs zu Gunsten der Inszenierung verzeiht man deshalb weitestgehend. Gerne mehr davon. 8/10

4 Kommentare:

spidy hat gesagt…

Ich würde Slumdog Millionaire etwas besser sehen als du.
Den vergleich mit Millions kann ich jetzt nicht ganz verstehen, klar stehen hier Kinder im Vordergrund der Geschichten, aber ansonsten haben die beiden Filmen doch nicht wirklich viel gemeinsam.

Lost in Imagination hat gesagt…

oh doch, ich finde da sehr viele Parallelen zu MILLIONS. 2 Kinder in ihrem Alltag, die unterschiedlicher nicht sein könnten / Ost-West-Gefilde. Und in beiden geht es um viel Geld. Nur die An - und Absichten laufen in 2 unterschiedliche Richtungen. Und am Ende eben auch die Inszenierung, die vielleicht in MILLIONS noch etwas "popiger" ist, aber eben durchaus auch oft ähnelt. Außerdem haben beide eine dezente Prise Fantasy an Board, ohne die man die Story stellenweise ja auch nicht hinnehmen würde.

spidy hat gesagt…

Aber die Geschichten sind doch sehr unterschiedlich, der Junge in Millions war jetzt nicht arm bzw. dessen Familie, kam durch ein Zufall an eine Tasche voll Geld und er hat immer Heilige gesehen, und in Slumdog geht es doch um ein Jungen der in den Slums groß geworden ist und kein Geld hat und durch "Wer wird Millionär" das große Geld gewinnt usw. Klar, in beiden Filmen kommen Kinder vor, die Filme sind mit Phantasie gespickt. Vielleicht könnte man wirklich - mit etwas mehr Vorstellungskraft :-) - Slumdog als Gegenstück zu Millions betrachten. ber das wichtigste ist, dass beide Film wirklich großartig sind.

Lost in Imagination hat gesagt…

naja, auch in SLUMDOG kommt das "Kind" (er ist ja nun Erwachsener), durch Zufall an die Millionen. Schließlich macht er bei der Show mit um etwas anderes zu bezwecken. ;-)

Aber du hast recht: Beides sind selbstständige, großartige Filme. Wobei ich MILLIONS einen Tick mehr mochte. Werde mir SLUMDOG MILLIONAIRE aber auch in Deutschland erneut ansehen wenn er angelaufen ist. Dann wird sich zeigen welcher die Nase vorn hat.