Montag, Juli 03, 2006

Kino: HARD CANDY



Tastaturgeräusche erklingen, wir folgen einer Chatsequenz. Es ist eine Unterhaltung zwischen Hayley und Jeff, die endlich vorhaben sich einmal im „realen“ Leben zu treffen. Eigentlich eine ganz normale Sache, wäre Jeff (Patrick Wilson) nicht Anfang dreißig und Hayley (Ellen Page) erst vierzehn Jahre alt. Frei nach der Devise „Die inneren Werte zählen“, entscheiden sie sich dennoch für ein Treffen. Und sie plaudern, lachen, grübeln, haben Spaß. Wieso also den Nachmittag verstreichen lassen? So fahren sie zu Jeff. Was nun folgt ist der klassische Motivtausch: Denn mit dem Eintritt in die Wohnung endet der Prolog. Das Kammerspiel beginnt, aus Tätern werden Opfer und umgekehrt.

Ein Zuckerschlecken ist HARD CANDY gewiss nicht, was folgt sind 90 nervenaufreibende Minuten. Regisseur David Slade beweißt, dass man keine Hektoliter Blut braucht um einen spannenden, eiskalten Film zu schaffen. Er nutzt das durchgestylte Haus als Theaterbühne für das Psycho-Duell, welches seine Spannung weniger durch hektische Schnitte und das ausgelutschte Katz-&-Maus-Spiel bezieht, als durch die rasiermesserscharfen Dialoge. Bis zuletzt wissen wir nicht ob Jeff wirklich jene pädophilen Neigungen besitzt, für die Hayley ihn verurteilt. Immer wieder verschwimmen die Sympathien des Zuschauers und müssen sich neu ordnen.

Die Optik ist hierbei meisterlich. Werbefilmer Slade versteht es den Film von Kopf bis Fuß durchzustylen, sodass man selbst von der Einleitung nicht genug bekommen kann. Die Farbgebung und der DV-Einfluss bilden die perfekte Kulisse für das Theaterstück. Einerseits wirkt alles hyperrealistisch, bedient somit auch den voyeuristischen Gedanken, anderseits strahlt HARD CANDY durch sein Rot/Weiß-Schema eine enorme Künstlichkeit aus, welche aber zu keinem Zeitpunkt die Gewalt ästhetisiert. Die vielen CloseUps nerven vielleicht an ein paar Ecken, sind aber ebenso wichtig für den Film. David Slade setzt Hayley in Szene, lässt sie sich vor der Kamera räkeln oder ihren Schmollmund zeigen. Er bietet sie uns förmlich an. Wir werden zum Voyeur, verschmelzen schließlich mit Jeff. Ebenso groß ist auch das Spiel der beiden Hauptdarsteller die es ohne Probleme schaffen den Zuschauer auf sich zu fixieren. Wehrend Patrick Wilson kurzzeitig zum Monster mutiert, schafft es die überwiegend smarte Hayley das volle Programm aufzufahren: Erst kindlich naiv, dann psychisch deprimiert und gegen Ende auch noch eiskalt und berechnend. Neben Dakota Fanning sicherlich DIE Nachwuchshoffnung Hollywoods, betrachtet man ihre Rolle in X-MEN 3 und hier als Pädophilen-Jägerin.

Und doch geht es Slade ganz offensichtlich nicht in erster Linie um das Thema Pädophilie: Er nutzt es eher als eine Rahmenkonstruktion um sein doppeltes Spiel mit Macht, Moral und Schein auf die Spitze zu treiben. Slade baut sich seine beiden Pole nur auf, um die gegen Ende ad absurdum zu führen. Genauso wenig wie Haylay das kleine, unschuldige und naive Mädchen (oder sollten wir sagen Opfer) ist, bricht auch Jeff mit dem Klischee des schokoladeverteilenden Opas, welcher ein Mädchen in den Wagen ziehen will. Zu Anfang zeichnet sich doch eine sehr dünne Linie zwischen Opfer und Täter. Erst später müssen wir erkennen, dass es hier längst egal ist in welche Schublade man sie gerne einsortieren würde, denn schuldig sind sie beide. An diesem Punkt ist HARD CANDY sicherlich am stärksten, indem er Klischees fallen lässt und auch die Motive vor unseren Augen zerplatzen lässt. Sicherlich baut Slade ein Stück weit auch auf die Forderung der Gesellschaft, härtere Strafen für Kindesmissbrauch ein zu führen. Gerade in den Szenen auf dem Dach entsteht dann, trotz einem gewissen Mitleid für Jeff auch ein Gefühl der Genugtuung.

Ist HARD CANDY deswegen ein klares Plädoyer für Selbstjustiz? Ganz klar: Nein! Der Film überspitzt die Figur des Racheengels so stark das keiner übersehen haben dürfte, dass Hayley, abgesehen von ihren nachvollziehbaren Ansätzen, vielleicht sogar den größeren Dachschaden haben dürfte, was um Himmelswillen nicht als Statement FÜR Jeff zu verstehen ist. Hier liegt doch der Vorzug gegenüber anderen Filmen um diesen Themenkreis. HARD CANDY schafft die Gradwanderung, bei der so viele andere scheitern. Er erläutert wieso es kein reines Schwarz und Weiß gibt, wo doch Jeff bis kurz vor Schluss nie eindeutig als Schuldig befunden oder Hayley ebenso nicht klar als Psychopathin abgestempelt werden kann. Das Alles macht HARD CANDY mehr als gut, weswegen ich den Film auch letzten Endes so mag. Technisch, das heißt visuell und darstellerisch, ist der Film ein Nonplusultra. Er ist kontrovers und provokant, nicht aber um eben nur das zu sein. HARD CANDY ist ein Kammerspiel der alten Schule, verpackt in zeitgenössischem Ambiente.

8-9/10

7 Kommentare:

Scarlettfan hat gesagt…

Are you kidding me?

Bei uns gab es Dauergelächter im Kino ob der unfreiwilligen Komik, Absurdität, Konstruiertheit und der auffällig wohlfeil geratenen pseudo-psychologisierenden Dialoge.

Der Film ist meiner Meinung nach so was von dämlich, irrelevant und zudem öde bebildert, dass es der Sau graust.

Den Zuschauer schocken? Kontroversen loslösen? Wie denn - mit dieser Heia Popeia-Kammerspielgeschichte mit ihren unzulänglich ausgeschriebenen Figuren? Dass ich nicht lache!

Aber Ellen Page war sensationell, einfach sensationell! Ellen Page gehört die Zukunft!! Somit hat sich der Kinobesuch für mich also ein stückweit gelohnt. ;-) Bin schon auf MOUTH TO MOUTH gespannt; da soll Page ja noch besser sein als hier.

Schön, dass zumindest Dir HARD CANDY gefallen hat.

Lost in Imagination hat gesagt…

ich bin schockiert, und zwar zutiefst ;-)

Wenigstens Ellen wird von dir nicht gebasht, sie war aber auch fabelhaft.

Inwiefert fandest du ihn absurd? Konstruiert: Ja. Unfreiwillig komisch: ab und zu sogar sehr schwarz. also mich hat dieses Rededuell bestens unterhalten. Zumal die Optik mich wieder einmal sehr verzaubert hat.

Anonym hat gesagt…

also ich muss mir den film glaube ich wirklich schnellstens anschauen.2 so kontroverse meinungen.bin ja echt gespannt...

Scarlettfan hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Scarlettfan hat gesagt…

itte, brisante Themen wie Pädophilie und Selbstjustiz werden hier so lasch und albern behandelt, dass ich mich noch nicht einmal moralisch darüber aufregen kann. Gäääähn!
(dabei rege ich mich ansonsten immer über Rachefilme auf ("Punisher", "Man on Fire" - aber nicht über HARD CANDY, denn dieser lächerliche, möchtegern-schockierende Schund ist doch nicht ernst zu nehmen).

Es ist mir schon klar, was der Film erreichen will:
Der Zuschauer soll selbst in einen Gewissenskonflikt gebracht werden
- auf der einen Seite haben wir eine verrückte, kriminelle Göre, die brutal Rache übt und dabei scheinbar auch noch große Lust empfindet
- auf der anderen Seite haben wir einen Pädophilen, der von dieser Göre halt brutalst dominiert wird
Ein Film, der bewusst auf Identifikationsfiguren verzichtet, damit der Zuschauer nur schwer Partei ergreifen kann und sich anstatt dessen moralische Fragen stellt a la "Ist es korrekt einen Menschen so zu behandeln, auch wenn er Kinderschänder ist?" oder " Finde ich das Verhalten es Mädchens vielleicht toll und richtig?" oder "Empfinde ich womöglich Mitleid mit dem bösen Mann?", etc.
Also will der FIlm schocken, den Zuschauer in eine moralische Zwickmühle werfen und in letzter Konsequenz Kontroversen lostreten.

Das funktioniert aber nicht, da HARD CANDY einfach grottenschlecht ist, weil er filmisch und erzählerisch nunmal nicht viel zu bieten hat. So ein Film vermag es nicht, mich zu involvieren und irgendetwas in mir auszulösen oder mich zu irgendwelchen moralischen Diskussionen/Reflektionen zu animieren. Der Film ging mir dafür einfach zu sehr am Arsch vorbei:

Erstmal ist das Ganze zu berechnend (möchtegern-schockierend, möchtegern-kontrovers) und ich fand es unsäglich plump, einfach zwei kriminelle und böse, aber total gegensätzliche Menschen aufeinander treffen zu lassen und sie das tun lassen was sie da tun - und sich einzubilden, so würde man irgendwelche Kontroversen loslösen oder den Zuschauer schocken - bitte: wie platt ist das denn?

Erschwerend kommt hinzu, dass die Dialoge zwischen den Beiden fürchtbar unnatürlich sowie papieren klangen und zudem inhaltlich furchtbar banal und abgedroschen waren - ein eher maues psychologisches "Rededuell" der Beiden da. Kein Pfiff , keine Kreativität und keine Spannungen in den Worten, sondern das übliche psychologische BlaBla nach Schema F. Dann fand ich die beiden Figuren langweilig charakterisiert. Da hätte viel mehr rüberkommen müssen!!!

Und die Story? Oh please, langweilig, künstlich in die Länge gezogen (wie er da geschlagene zwanzig Minuten auf dem Tisch liegt bevor sie ihn endlich kastriert) und voller Logikschwächen. Nee, meiner Meinung nach glänzt HARD CANDY nur durch unfreiwillige Komik und eine, äh, nicht gerade wahrhaftige Situation.

Was die Optik angeht, fand ich sie richtig scheisse und monoton. Da packt der Regisseur oder Kameramann völlig Nichtssagendes in betont gekünstelte Shots. Prätentiös ist das, hat miit vernünftiger Bildersprache aber nichts zu tun.

Lost in Imagination hat gesagt…

Ich fand diese Mischung aus Pealismus und Küstlichkeit sehr gelungen und hat auch perfekt zum Märchenthema gepasst, welches HARD CANDY ja auch irgendwo bedient.

Empfand die Kontroversen nicht als lächerlich, sondern lediglich als nüchtern. Und das hat mir gerade gefallen.

Kann es sein das es mir an vergleichbaren Filmen mangelt? Don Logan sieht das ganze ja ziemlich genau wie du.

Das beide Protagonisten kriminell sind, stellt sich ja erst im Laufe des FIlms heraus. Zu Beginn ist Jeff ein sehr netter Fotograf, Hayley ein aufgewecktes Mädchen. Es ist ja nicht so das Slade einen Massenmörder und einen Kinderschänder in eine Zelle schmeißt und Fragt: Wer ist schlimmer? Er spielt ja ein Stück weit mit Schubladendenken desd Zuschauers.

Die Dialoge fand ich auch nicht schwammig oder nutzlos. Sie verfolgen ja den Ganzen Film über ein Ziel: Jeff hat keine Chance sich zu rechtfertigen, weil Hayley ja mehr weiß, als sie zugibt zu wissen. Das rückt alle Dialoge, gerade im Anfangsstadium, in ein viel perfideres Licht. Mir hat das sehr gut gefallen.

Wenigstens habe ich ihn dir nicht empfohlen ;-) *lol*
Obwohl ich da auch wieder eine Sehempfehlung habe: Schon mal DIE KALTE SEE geschaut? Fand den richtig klasse.

@Jelami

Husch mal ins Kino, denke das der FIlm dir gefallen könnte.

Anonym hat gesagt…

Was für Logikfehler?

Ich habe den Film gerade eben gesehen und mir ist seitdem noch kein Logikfehler aufgefallen. Hab ich vielleicht nicht richtig aufgepasst? Wo stecken denn Logikfehler?


Bei aller Kritik, die ich hier lesen muss, spannend war der Film doch bestimmt! Zumindest mir war einschlafen völlig unmöglich!
Was mit leider gar nicht gefallen hat, war, dass dieses Mädchen so unglaublich überlegen, intelligent und auf alles vorbereitet war. Allein schon die Szene mit der Dusche, wo sie ihn überwältigt hat. Oder wie sie ihn an allen möglichen Orten gefesselt haben soll. Wie kann ein 14-jähriges Mädchen einen 80-90kg-Mann z.B. an einen Tisch fesseln? Und wie Waffen funktionieren wusste sie dann auch noch. Das war leider ziemlich übertrieben. Die wahnsinnige und überreife Intelligenz des Mädchens auf der einen Seite ist ja schon viel, aber alles zusammen wirkte doch schon sehr unglaubwürdig. Ein bisschen weniger hätte auch gereicht!