Dienstag, Oktober 24, 2006

Kino: SHORTBUS


SHORTBUS ist der neue Film von John Cameron Mitchell, dessen Debüt HEDWIG AND THE ANGRY INCH in Sundance zwei der begehrtesten Preise einheimste. SHORTBUS wurde schon im Vorfeld heiß diskutiert. Der Grund: Es handelt sich um einen Spielfilm mit Hardcore-Szenen. Diesen Fluch wird Mitchell’s Film wohl auch nicht mehr los. Immer wieder wird der Film auf die Sexszenen reduziert werden. Sehr schade, wenn man bedenkt das SHORTBUS wesentlich mehr zu bieten hat.

Der Film teilt sich in drei Geschichten, welche sich zeitweise überschneiden. Jamie (PJ DeBoy) und Jamie (Paul Dawson) stecken in einer Beziehungskrise, wollen sich von Partnerpsychologin Sofia (Lee Sook-Yin) helfen lassen. Diese wiederum hat ganz andere Probleme: Sie hatte noch nie einen Orgasmus und will das endlich ändern. Deswegen schließt sie mit Severin (Lindsay Beamish) einen Pakt: Sofia bekommt einen Orgasmus, Severin den festen Partner den sie sich schon so lange wünscht. Zentraler Mittelpunkt der episodenartigen Erzählung ist hierbei die angesagte Szenebar „Shortbus“, in dem sich New York trifft um dem Alltag zu entgleiten.

Schon nach der ersten Szene trennt sich die Spreu vom Weizen: Wir sehen zu wie Sofia von ihrem Freund quer durch die Wohnung gevögelt wird und Jamie sich oral selbst befriedigt. Die Empörung war vorprogrammiert, deswegen das positive vorneweg: Die Hardcore-Szenen erfüllen keinen Selbstzweck, sondern sind tief im Sujet des Films eingebettet. Nicht zu vergleichen mit dem voyeuristischen Selbstzweck eines Larry Clarks, wenn er einen Teenager minutenlang beim onanieren filmt. Nein, SHORTBUS nutzt seine Sexszenen als Stilmittel. Das ist auch der Grund wieso es nicht unbedingt die offenherzigen Szenen sind, welche mir immer noch im Gedächtnis hängen. Die jeweiligen Momente sind so überspitzt und ironisch dargestellt das einem außer Schmunzeln nicht wirklich viel übrig bleibt. Unvergesslich die Szene in der drei Männer beim Sex die Nationalhymne auf dem Penis ihres Gegenübers trällern. Für den Mut und diese Konsequenz muss man John Cameron Mitchell einfach bewundern.

Wenn man dem Film etwas ankreiden möchte, dann doch viel eher das er zeitweise außerordentlich dünn gestrickt ist. Einige Handlungsstränge werden arg hastig abgehandelt und die eine oder andere Situation wirkt etwas holzschnittartig, wie das Fragment einer Daily Soap. Mangelnde Charaktertiefe möchte ich Mitchell an dieser Stelle jedoch nicht vorwerfen. Seine Figuren erfüllen ein gewisses Mindestmaß, jede weitere Vertiefung wäre vielleicht lobenswert gewesen, doch auch so können die einzelnen Persönlichkeiten ihren ganz eigenen Verve entfalten. Neben dem Sex, der wie im richtigen Leben eben auch hier eine ganz bedeutsame Rolle einnimmt, steht dennoch das Zwischenmenschliche im Vordergrund: Die Post-9/11 Generation rund um New York, immer auf der Suche nach Geborgenheit und Hoffnung. Hier liegen ganz klar die Vorzüge von SHORTBUS, weil es Mitchell gelingt diese Bedürfnisse ohne plakative Methoden einzuweben. Herrlich in diesem Zusammenhang auch der Running Gag mit dem Stromausfall als Symbol für den Orgasmus der Metropole, als am Ende alle Charaktere auf einander treffen. Aus diesem Grund kann man das Ende auch nicht verurteilen, weil es zu gutmenschlich wäre. Stellt diese Soiree doch eigentlich nur die obligatorische Zigarette danach dar. Vielleicht verbindet diese Menschen doch mehr als der bloße Akt… das wäre jedenfalls eine Erklärung dafür, warum sich hier „danach“ niemand zur Seite wegdreht und einschläft, sondern von Angesicht zu Angesicht miteinander feiert.

Es ist nur eine logische Konsequenz, einen Film über Sex zu drehen und diesen dann auch zu zeigen. John Cameron Mitchell weiß das und schafft mit SHORTBUS einen überaus unterhaltsamen, charismatischen und ungezwungenen Film über Sehnsüchte. Schon der geniale Soundtrack wäre das Kinoticket wert. 8/10

"Its the sense of touch. Any real City, you walk. You know?

You brush by people, they bump into you.
In New York nobody touches you.
We’re always behind this metal and glass. It's the sense of touch. I think we miss that touch so much that we crash into each other just so we can feel something."

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